Der schlaue Spechtfink



Als es gerade mal sehr wenig zu essen gab auf den Galápagos-Inseln, saß ein hungriger Fink mit knurrendem Magen auf einem morschen Baum und überlegte, wo er wohl etwas essbares auftreiben könnte. Eine fette Fliege zum Beispiel oder ein paar schmackhaft Samenkörner kämen ihm jetzt gerade recht. Seine Überlegungen wurden jäh unterbrochen durch ein Geräusch, das eindeutig aus dem Baum zu kommen schien, auf dem er gerade saß. Waren das etwa Kaugeräusche verbunden mit lustvollem Geschmatze? Wer konnte das nur sein? Wer in Teufels Namen hatte hier in dieser Einöde etwas zu essen gefunden, was noch dazu so gut zu schmecken schien, dass er völlig hemmungslos und ohne Rücksicht auf die guten Sitten solche Essgeräusche produzierte?
In unserem kleinen hungrigen Finken wurde schlagartig brennende Neugier geweckt. Er musste den Verursacher dieses Geräusches finden und ihn fragen, wo es etwas zu essen gäbe! Nur..wie sollte er das tun, wo er sich doch außerhalb des Baumes befand, der geheimnisvolle Fremde aber eindeutig im Baum zu finden war? Weil der Fremde aber irgendwie in den Baum rein gekommen sein musste, so schloss unser kleiner Freund mit brillanter Logik, musste es mit ziemlicher Sicherheit einen Eingang geben. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, da erspähte er gar nicht weit entfernt ein Loch im Baum.
Es war leider nur ein kleines Loch, so dass er noch nicht mal seinen Kopf hineinstecken konnte, aber sein Schnabel war schmal genug und schließlich wollte er ja nur eine höfliche Frage an den Fremdling richten. Es wäre ihm zwar lieber gewesen, sein Gegenüber auch sehen zu können, aber der andere würde sicher Verständnis haben, wenn er ihm die Sachlage erklären würde. Ein weiteres Problem, das unserem Freund plötzlich durch den Kopf schoss war die Frage: Wie sollte er den Fremden anreden, wo er doch nicht wusste, ob es sich um eine Dame oder einen Herrn handelt? Er begann also zunächst einmal mit einem Freundlichen "Guten Tag!" Und nach einer kleinen Pause, in der er dem Angesprochenen die Gelegenheit geben wollte, seinen Gruß zu erwidern: "Dürfte ich sie bitte etwas fragen?" Er lauschte, um ja nicht die Antwort zu verpassen, aber außer aufdringlichem Geschmatze, konnte er nichts weiter hören. Unser kleiner Fink versuchte es ein weiteres Mal und, weil er wieder keine Antwort bekam ein drittes Mal.
Dann begann er langsam ärgerlich zu werden. Er wollte diesem Rüpel jetzt gleich gegenübertreten, um ihn wegen seines schlechten Benehmens zur Rede zu stellen. Nur, wie sollte er das anstellen, wo der andere doch nicht im Traum daran dachte, ihn überhaupt zu bemerken? Sein Schnabel war leider ein kleines Stück zu kurz, um diesen Widerling aus dem Baum zu angeln.
Der Ärger und wahrscheinlich auch der nagende Hunger, der ihn quälte, bewirkten, dass sein Gehirn fieberhaft an diesem Problem arbeitete. Plötzlich hatte er eine ausgezeichnete Idee: Wenn sein Schnabel auch nicht die erforderliche Länge aufwies, um diese Angelegenheit zu erledigen, so gab es doch sicherlich Gegenstände, auf dieser Insel, die diese Aufgabe erfüllen würden. Ein kleines Ästchen zum Beispiel hätte genau die gewünschten Eigenschaften. Damit würde er diesen schmatzenden Flegel mit Sicherheit herausziehen können. Er suchte den Baum, auf dem er saß, sorgfältig nach einem passenden Ästchen ab und seine Mühe wurde auch schnell belohnt. Sein schmaler aber kräftiger Schnabel hatte es im Nu abgepflückt und zu dem kleinen Loch transportiert. Es passte haargenau und nach kurzer Zeit konnte der kleine Fink endlich einen Blick auf den Fremden werfen.
Es war eine fette Made, die ihn misstrauisch anstarrte. Sie wurde mit einem Bissen von unserem kleinen Freund verspeist und füllte genau seinen hungrigen Magen aus.
Seitdem wusste der Fink, wo er immer etwas zu Essen finden würde und er zeigte seinen brillanten Trick natürlich auch seinen besten Freunden und seinen Kindern, die ihm dafür natürlich aufrichtig dankbar waren und ihn von diesem Tage an nur noch bewundernd "den Spechtfink" nannten.

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